Produzieren statt konsumieren – ein Interview mit Anette Neuhaus

Marmelade
Marmelade

Noch nie war das Angebot in den Regalen der Supermärkte und Discounter so groß wie heute. Beinah alles ist für Kleinstbeträge käuflich geworden. Wir kaufen Dinge, die wir kennen, Dinge, die wir brauchen und Dinge, von denen wir nicht mal wissen, was sie sein sollen. Für einige Menschen hat dieses Übermaß an Angebot der Industrie genau zum Gegenteil geführt: Sie bauen viele Obst- und Gemüsesorten wieder selbst an und produzieren daraus eigene Marmeladen, Liköre oder Chutneys.

Anette Neuhaus baut in ihrem Garten viel selbst an oder erntet von Bäumen und Sträuchern aus der Umgebung. Das Gesammelte und Geerntete wird dann in der heimischen Küche selbst verarbeitet. Für ihr Hobby opfert die zweifache Mutter aus dem Sauerland gern ihre Freizeit. In einer Zeit, in der es eigentlich zunehmend um Zeitersparnis und Erleichterung des Lebens geht, stellt die Eigenproduktion daher einen interessanten Gegentrend dar.

Eigener Anbau – eigene Produktion

Frau Neuhaus, wie kam es dazu, dass Sie Ihren Fokus auf die eigene Produktion und den eigenen Anbau gesetzt haben?

Wer für eine Familie einkauft, macht sich natürlich Gedanken, wie man sie am besten ernährt. Da fängt man an zu vergleichen, Inhaltstoffe zu studieren und dann muss das ganze natürlich nicht nur bezahlbar sein, sondern auch noch schmecken. Dann bleibt natürlich noch die Problematik mit den Allergien: Nicht jeder verträgt alles. Und manchmal merkt man wie jemand auf ein bekanntes Produkt unverträglich reagiert und fragt sich natürlich wieso. Mit der Zeit kam ich irgendwann darauf, dass meine Kinder gar nicht auf den Rohstoff, sondern auf die Zusatzstoffe reagieren. Das ist auch längst kein Einzelfall mehr. Viele andere Mütter und Väter haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Natürlich auch an sich selbst. Irgendwann war das permanente Studieren von Etiketten und Inhaltsstoffen dann zu viel. Da hab ich angefangen so ein paar Basics einfach selbst zu produzieren. Darauf reagierten meine Kinder dann auch nicht mehr allergisch. Mittlerweile sind zwar beide Kinder aus dem Haus, aber der Spaß an den eigenen Marmeladen, Chutneys und Likören ist geblieben.

Sehen Sie das auch als den großen Vorteil von Selbstproduziertem?

Auf jeden Fall. Hier weiß ich, was in meiner Marmelade ist. Bis auf jedes Gramm genau. Aber es ist ja nicht nur eine Frage von Allergien. Heute würde ich die eigenen Produkte den Kauf-Produkten auch aus anderen Gründen vorziehen: Sie schmecken einfach besser. Auch wenn das vielleicht eine subjektive Frage ist, hab ich bisher immer dieses Feedback. Eine Kirschmarmelade schmeckt dann eben auch wirklich nach Kirsche und nicht nach einem künstlichen Stoff, der entfernt an Krische erinnert. Der Eigengeschmack der Inhalte macht das Ganze eben aus. Ich brauche kein Übermaß an Zucker oder anderen Zutaten um die Illusion von Natürlichkeit zu schaffen. Meine Sachen sind einfach natürlich und das schmeckt man.

Marmelade herstellen
Marmelade herstellen

Aber ist es nicht oftmals günstiger ein Produkt einfach zu konsumieren?

Das mag beim Einkauf erst mal so aussehen. Wenn ich Erdbeermarmelade einkaufe, dann kostet mich das beim Discounter wie viel? So eine Noname-Marmelade? 70Cent? Wenn ich dagegen den Gelierzucker und die Erdbeeren kaufe und das dann vergleiche erscheint es natürlich erheblich teuer. Aber ich mache ja nicht nur ein einziges Glas fertig, sondern bekomme aus meinen Waren viel mehr raus.
Außerdem kaufe ich natürlich nicht alles im Laden. Wenn ich natürliche Produkte haben möchte, ist die Natur wohl immer noch der beste Lieferant. Im Supermarkt weiß ich ja dann doch wieder nicht mit wie vielen Pestiziden und sonst nicht was das Gemüse oder Obst belastet ist. Also setzte ich lieber auf den eigenen Anbau bei mir im Garten oder im Garten von Freunden. Obstbäume gibt es viele und je nach Saison gibt es dann eben Erdbeeren, Kirschen, Marillen, Äpfel, Holunder – die Auswahl ist weiß Gott groß genug.

Das mag für Menschen auf dem Land zutreffend sein, aber für Städter ist es bei weitem nicht so leicht. Ist es daher eher ein ländlicher Trend?

Das kann schon sein. Ich denke aber dennoch, dass es auch in der Stadt genügend Möglichkeiten gibt. Meine Tochter lebt in Berlin und geht da regelmäßig zum Markt. Da kann ich auch direkt nachfragen, wie die Sachen angebaut wurden und so weiter. Oder ich mache regelmäßig einen Abstecher ins Umland und auf die dortigen Bauernhöfe oder gehe dort sammeln. Erdbeerfelder gibt es auch in der Nähe jeder Stadt.

Was ich außerdem mitbekommen habe, ist der Trend zum Garten in der Stadt. Auf Dachterrassen oder in gemeinschaftlichen kleinen Anlagen. Nennt sich wohl Urban Gardening. Ist aber auch nicht neu. Schrebergärten gibt es wohl schon deutlich länger (lacht).

Oftmals nimmt man sich ja ein bekanntes Produkt aus dem Laden als Vorbild und möchte das dann selbst herstellen. Bei dem Vergleich bleibt die Optik ja oftmals auf der Strecke, finden Sie nicht?

Das kann durchaus sein. Liegt aber nicht an mangelnder Qualität, sondern wohl eher daran, dass wir natürliche Produkte schon gar nicht mehr gewohnt sind. Erdbeermarmelade ist halt nicht knallrot, sondern bekommt mit der Zeit einen leichten Graustich, wenn sie eingekocht wurde. Sie wollen lieber gar nicht wissen, womit so alles die passende Farbe hergestellt wird. Also ja. Gerade beim Einkochen werden die Dinge oftmals nicht so wie ein „vergleichbares“ Produkt aus dem Supermarkt. Aber im Prinzip wollen wir das ja auch gar nicht. Dafür ist der Geschmack natürlich und intensiv. Und ich persönlich weiß lieber, dass es mir gut tut und es schmeckt, als etwas zu essen, dass zwar toll aussieht aber im Prinzip nur ein gefärbter Zuckerwürfel mit Zusatzstoffen ist.
Außerdem bleibt am Ende noch eine ganze andere Sache: ich schätze und genieße meine eigenen Produkte deutlich mehr.

Also geht es auch um Wertigkeiten?

Absolut. Wenn ich eine Marmelade kaufe und verbrauche, dann ist das halt so. Da wiesen mich meine Kinder auch nur darauf hin, dass die Marmelade leer ist. Wenn die selbst gemachte Marmelade leer ist, dann grenzt das oftmals schon an Dramen. Da höre ich nicht „Die Marmelade ist leer“, sondern werde dringlichst gebeten bald neue zu machen. Meine Älteste ruft mich extra an, um mir mitzuteilen, dass sie bald wieder neue benötigt. Das ist Wertschätzung. Ich schätze wieder ein Produkt. Die Arbeit die darin steckt. Eben weil es vielleicht auch nicht immer verfügbar oder machbar ist. Das macht den Genuss dann natürlich intensiver.

Aber auch für mich ist es mehr als nur Verbrauch. Ich weiß, wie lange ich dafür gebraucht, wie lange das passende Rezept gesucht habe. Also ja, natürlich geht es auch um Wertigkeiten.

Marmelade herstellen Zutaten im Topf
Marmelade herstellen: Zutaten sind im Topf

Für alle, die das selbst gerne ausprobieren würden – was empfehlen  Sie als Grundausstattung, wenn man selbst produzieren möchte?

Oh. Ich hoffe doch, dass es noch viele gibt, die sich dazu begeistern lassen. Die Grundausstattung hat man im Prinzip eigentlich zuhause. Neben einem Brettchen und Messern ist das wichtigste ein großer Topf, ein Sieb und ein Pürierstab. Damit lässt sich das meiste eigentlich gut herstellen. Natürlich brauch man auch Gläser oder Flaschen, um am Ende alles abzufüllen. Das ist noch so ein schöner Nebeneffekt: Schöne Flaschen oder Gläser finden, die man später dann gut verschenken kann. Das macht mir einfach Freude.
Wer einen Schritt weiter gehen möchte, der kann sich auch eine Flotte Lotte zulegen.

Flotte Lotte Passiermühle
Eine Passiermühle nennt man auch Flotte Lotte

Was ist denn eine Flotte Lotte?

(Lacht) Eine Flotte Lotte ist ein Passiergerät. Damit werden Haut und Kerne zurückgehalten. Ideal eigentlich, um z.B. Tomaten zu verarbeiten. Man kann natürlich auch alles durch ein Sieb oder ein (unparfümiertes) Mulltuch streichen. Eine Flotte Lotte macht es aber deutlich weniger aufwendig.

Marmelade selbst herstellen

Sie machen das Ganze jetzt ja schon eine Weile, haben sich mit der Zeit Lieblingsrezepte herauskristallisiert?

Sehr gern. Es mag für manche vielleicht zunächst befremdlich klingen, aber ich bin mittlerweile ein glühender Fan von Zucchini-Konfitüre. Das Rezept ist im Prinzip ganz einfach:

Für 11 Gläser (à 200ml) braucht man:

  • 700g Äpfel
  • 500g Aprikosen
  • 250g Zucchini
  • einen Beutel Gelfix Classic
  • 1150g Zucker

 

typische Einmachgläser für Marmelade
typische Einmachgläser für Marmelade

Das Obst und die Zucchini werden einfach gewaschen, geschält und ggf. entkernt. Dann alles in kleine Stücke schneiden und alles in einen großen Topf geben. Das Gelfix wird mit 2 EL Zucker vermischt und dann unter die Fruchtmasse gerührt. Alles zum Kochen bringen, den restlichen Zucker dazugeben und noch weitere drei Minuten in etwa sprudelnd kochen. Immer natürlich unter Rühren – sonst brennt’s an. Dann den Schaum abschöpfen und alles in Gläser füllen. Gläser verschließen, umdrehen und etwa fünf Minuten stehen lassen. Wer gern ein wenig Schuss in seiner Marmelade mag, der kann 3 EL Calvados hinzufügen. Schmeckt ausgezeichnet.

Wer auf Beeren steht, der wird auch Freude am Johannisbeerlikör haben. Früchte einfach zerstampfen, in eine Flasche geben – Achtung, diese sollte eine große Öffnung haben. Dann mit Weinbrand auffüllen, verschließen und alles ca. zwei Monate an einem ruhigen Ort stehen lassen. Danach die Fruchtmasse durch ein Tuch filtern und dann final in Flaschen abfüllen. Man braucht eigentlich nur Geduld. Auch die Zutaten sind denkbar einfach:

  • 300g schwarze Johannisbeeren
  • 200g rote Johannisbeeren
  • 100g Himbeeren
  • 225g Rohrzucker
  • 1l Weinbrand (min. 40 Vol.-%)

Tipps für Einsteiger

Mit all Ihrer Erfahrung: Was sind denn so typische Probleme, vor denen man als Einsteiger steht?

Uff. Gute Frage. Ich würde sagen, die Mengenangaben in vielen Rezepten. Im Prinzip ist es zwar leicht verständlich, aber das Ergebnis überrascht dann doch oft. Ich habe zu Beginn immer noch weißen Industriezucker verwendet und bin erst später auf Rohrzucker umgestiegen. Nur wusste ich damals noch nicht, dass das natürlich erheblichen Einfluss auf die Süße hat. Jetzt bin ich schlauer. Also: Wenn man Rohrzucker verwendet, dann braucht man ggf. mehr als in der Anleitung steht. Außerdem hat es natürlich Einfluss auf das Gelierverhalten.

Zu guter Letzt, haben Sie für Neugierige noch ein paar Buchempfehlungen?

Sehr gern. Ein Buch, das ich immer wieder gern zur Hand nehme ist „die Einkoch Bibel“ von Ulrich Jakob Zeni. Ansonsten stütze ich mich weniger auf Bücher, sondern stöbere lieber in Magazinen wie „Landlust“ oder „Mein schönes Land“. Hier sind immer wieder tolle Rezepte drin. Aber auch andere Ideen wie man Essen, Deko oder ähnliches selbst machen kann und was wann Saison hat.

Bildquellen
Bild1: Marmelade selbst gemacht von Rainer Stropek © CC BY ND 2.0
Bild2: Marmelade selbst gemacht von Rainer Stropek © CC BY ND 2.0

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